Ein Erklärungsversuch
von Fred Kowasch
Mitte Dezember 2014
Wochenlang hat fast keiner über sie berichtet, jetzt kennen die etablierten Medien kein anderes Thema mehr. Doch so richtig finden Politiker, Leitartikler und sogenannte Experten keine Antwort auf die Frage: was treibt wöchenlich Tausende Menschen dazu – bei Eiseskälte oder Dauerregen - in Deutschland auf die Straße zu gehen?
Für die einen sind sie "Mischpoke" (Cem Özdemir, Bündnis 90/Grüne), andere nennen sie "Neonazis in Nadelstreifen" (Ralf Jäger, SPD) oder eine "Schande für Deutschland" (Heiko Maas, SPD). Es ist immer wieder schön zu sehen, wer sich gerade als lupenreiner Demokrat outet.
Vielleicht nehmen da auch nur Menschen, ihr verfassungsmäßiges Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit wahr. Zeigen, dass sie Frust haben, sie die politische Entwicklung in diesem Land bedrückt. Dass sie mit den Eliten abgeschlossen haben. Die Antwort kann manchmal so nah liegen und doch so fern sein.
"Deutsche Presse, halt die Fresse"
Dass sich viele Demonstranten der neuen Gruppen den Medien verweigern, hat einen guten - auch nachvollziehbaren - Grund. Was macht dass für einen Sinn mit Journalisten zu reden, deren Meinung vor dem Gespräch fast immer schon festzustehen scheint? Die Aussagen aus dem Zusammenhang reißen und ihre Vorurteile pflegen. Und in der Regel den Vorgaben aus ihren Redaktionen folgen.
Vor der Kundgebung der HoGeSa in Hannover (15.11.2014) unterhielt ich mich mit einigen Hooligans, Symphatisanten von HoGeSa. Wir sprachen über Freundschaften in der Fanszene, den Verhaltenskodex auf dem 'Acker', die Demonstration von Köln und die Berichterstattung in der Presse. Es waren interessante Gespräche. Viel Frust und Wut, später Staunen. Vielleicht weil Ihnen mal einer zuhörte. Nicht gleich die Kamera auspackte oder mit der 'Rechtsradikalenkeule' kam.
Und so erfuhr ich auch, dass sie durchaus Furcht vor Islamisten haben. Dass die Bilder aus den Fernsehnachrichten und Onlinemedien Wirkung zeigen. Genauso wie sich der IS das verspricht. Dass sie es nicht verstehen können, wenn in Deutschland - auf offener Straße - Kurden und Islamisten aufeinander losgehen. Mit Messern und Macheten. Die sich deshalb fremd fühlen. Fremd im eigenen Land.
Wo sind die TV-Beiträge und die Hintergrundartikel, die diese Sichtweise zum Inhalt haben? Wo vorurteilsfrei über diesen Teil der Gesellschaft berichtet wird?
Journalismus soll Wirklichkeit abbilden. Tut er das noch?
Mit den Demonstrationen von Pegida und HoGeSa ist die radikale Wut in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Eine Wut, die sich gegen Medien und Politiker, gegen die Staatselite richtet. Eine Elite, die nach eigenen Regeln lebt. In einer Wirklichkeit, die mit den Themen da draußen kaum noch etwas zu tun hat. Die sich – finanziell mehr als abgesichert - im Status Quo bequem eingerichtet hat. So empfinden die Demonstranten das.
Es ist mehr als eine Wut.
Es ist eine tiefe Verachtung des etablierten Systems. Die ihren Ausdruck in einer massiven Wahlenthaltung findet. Die den Aufstieg der AfD erklärt. Jetzt den Weg auf die Strasse findet, eine ungemeine Dynamik entwickelt hat.
Auch im Westen gärt es
Und: dieser Zuspruch muß nicht zwangsläufig auf den Osten Deutschlands beschränkt bleiben. Auch im Westen der Republik gärt es. Gerade in Nordrhein-Westfalen gleichen einige Städte einem lokalen Pulverfass. Eine wirkliche Integration hat es in Duisburg und Wuppertal, in Solingen, M'Gladbach und Essen nie gegeben. Noch ist es nur ein Grummeln. Doch, wie lange noch?
HoGeSa und Pegida: "Wir sind das Volk"
Es ist eine Bewegung, deren Vertreter nicht ohne Grund: "Wir sind das Volk" rufen. Weniger schmerzt die Herrschenden mehr.
Auch vor 25 Jahren schon war dieser Spruch vor allem ein Signal. An eine verknöcherte Kaste von Funktionären, die sich der Wirklichkeit verweigerten. Frei nach dem Motto: jetzt werdet ihr uns zuhören müssen. Nun spricht das Volk. Ob es euch gefällt oder nicht.
Wo das dann endete, dürfte bekannt sein.
Es ist deshalb ratsam, die Demonstranten von Dresden, Leipzig, Berlin, Kassel, Köln, Hannover und Düsseldorf ernst zu nehmen.
Montagsdemonstranten in Leipzig (Februar 1990)
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